Keinen Bock auf Schule... aber (k)einer fragt warum!

06.03.2023 CJD Annaberg-Buchholz CJD Sachsen « zur Übersicht

„Keiner hat gesehen, dass ich dazugehören wollte und Drogen nahm – mit 12 – was ich nicht sollte“, so heißt es in einem selbstverfassten Gedicht von Jugendlichen aus dem Schulverweigererprojekt des CJD Annaberg-Buchholz. Das Projekt richtet sich genau an Kinder wie diese: die nicht-gesehenen, die demotivierten, die unsicheren und ängstlichen. Die Kinder, die häufig Probleme in der Schule haben und individuell gefördert werden müssten.

Das CJD-Schulverweigererprojekt ist ein Erfolgsprojekt mit hoher Nachfrage. Es ist eine wichtige Anlaufstelle im Erzgebirge für Eltern, Schulen und vor allem Schülerinnen und Schüler. Hier finden junge Menschen Gehör, die durch wiederholtes Fehlen, aktives Stören des Unterrichts oder Desinteresse und Schulmüdigkeit auffallen. Die jungen Menschen bringen unterschiedliche Herausforderungen mit, sei es Sozialphobie, Autismus, Mobbingerfahrung, ADHS, Suchterfahrung oder Problemlagen im häuslichen Umfeld und vieles mehr.

„Oftmals denkt man bei Schulverweigerung nur an die aktive Schulverweigerung – also, wenn Kinder und Jugendliche über einen längeren Zeitraum hinweg unentschuldigt der Schule fernbleiben. Aber viele junge Menschen sind zwar physisch im Unterricht anwesend, folgen dabei jedoch dem Unterrichtsgeschehen schon über einen längeren Zeitraum hinweg nicht mehr. Das nennt man passive Schulverweigerung“, erklärt Integrationsfachkraft Madlen Röpke vom CJD. „Genau darin liegt die Gefahr, dass man den Jugendlichen nicht rechtzeitig helfen kann, weil die Schulmüdigkeit zu lange unentdeckt bleibt.” Häufig fehlt die kurzfristige Hilfe durch Therapeuten, Psychologen und Kliniken. Wartelisten von bis zu einem Jahr verstärken und verfestigen die Symptomatik der jungen Menschen.

Das Schulverweigererprojekt des CJD gibt es bereits seit 2005 in Annaberg-Buchholz und durch die finanziellen Mittel des Landesamtes für Schule und Bildung seit 2022 auch in Bad Schlema. Es begleitet Jugendliche ab 12 Jahren bis zur Beendigung der Schulpflicht oder Berufsschulpflicht. In dem Projekt haben die Jugendlichen die Möglichkeit, in einem außerschulischen praxisorientierten Lernort zu wachsen. Sie erlangen u.a. handwerkliche Grundkenntnisse in verschiedenen Praxisbereichen wie Holz-, Garten- und Multifunktionswerkstatt. Diese werden dann mit den Kernschulfächern praktisch verknüpft.

Lea (14 Jahre) wird derzeit im Schulverweigererprojekt des CJD begleitet. Dass sie hier täglich lernt, ist für die schüchterne Schülerin ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags geworden. Denn hier erfährt sie sowohl von den Pädagogen als auch von den anderen Jugendlichen Wertschätzung und Respekt. Ihre jahrelange Mobbingerfahrung aus der Schule kann Lea außerdem einmal wöchentlich mit einer Therapeutin bearbeiten.

Ziel des Projektes ist es, junge Menschen wie Lea systematisch und ohne Druck in den Schulalltag zurückzuführen. Die persönliche Stabilisierung und Reaktivierung stehen im Mittelpunkt des Projektes. Damit werden die Chancen auf einen Schulabschluss verbessert und Übergänge in berufsbildende Maßnahmen geebnet.

„Schulverweigererprojekte sind wichtiger denn je. Die Zahl der Jugendlichen, die diese Angebote benötigen, wird jährlich mehr. Seit der Corona-Pandemie haben wir einen enormen Anstieg zu verzeichnen. Derzeit stehen für das Projekt in Annaberg-Buchholz 58 Schülerinnen und Schüler von 9 Schulen im Umkreis auf der Warteliste. Ich vermute, dass sich die Dunkelziffer seit dem Beginn der Pandemie verdreifacht hat”, berichtet Madlen Röpke, die seit 2016 in der Jugendarbeit aktiv ist. „Wir wollen die Schüler verstehen und fragen, warum sie keinen Bock auf Schule haben. Gemeinsam suchen wir nach Antworten und Lösungen.”

Die Schulverweigererprojekte des CJD in Sachsen werden gefördert durch das Landratsamt des Erzgebirgskreises sowie das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung.

Gedicht der aktuellen Teilnehmenden im Schulverweigererprojekt des CJD Annaberg-Buchholz 

Mein großes Problem ist dieses Schulsystem,

denn wer man wirklich ist – wird einfach gar nicht gesehen.

Man fühlt sich wertlos und unter Druck gesetzt,

fühlt sich manchmal auch verloren und nicht wertgeschätzt.

 

Keiner hat gesehen -    dass ich überhaupt anwesend bin,

                                    so machte für mich Schule einfach keinen Sinn.

 

Keiner hat gesehen -    dass ich mich fehl am Platz fühlte

                                    und dadurch jedem etwas Anderes vorspielte.

 

Keiner hat gesehen -    dass ich voller Sorge war

                                    und behandelten mich einfach als „sonderbar“.

 

Keiner hat gesehen -    dass man mit 13 Jahren schon lebensmüde sein kann

                                    und mich dieser Gedanke – mein Leben kosten kann.

 

Keiner hat gesehen -    die Monster die mich im Rausch einholen,

                                    verlorene Zeit – keine Chance sie zurück zu holen.

 

Keiner hat gesehen -    die Unsicherheit in meinem ICH

                                    und aus Ängsten wurde ANGST – diese fesselte mich.

 

Keiner hat gesehen -    dass ich dazugehören wollte

                                    und Drogen nahm – mit 12 – was ich nicht sollte.

 

Keiner hat gesehen -    dass ich nicht stillsitzen kann

                                    vom Lernstoff kam in meinem Kopf einfach nichts an.

 

Keiner hat gesehen -    die Schatten in meinen Gedanken und auf meiner Seele

                                    kein Licht, keine Zukunft – weil ich mich selbst so quäle.

 

Ich wurde zum Problem

in einem festgelegten Notensystem.

Die Klassen viel zu groß

& die Frage – Wer bin ich bloß?

Der Kampf in den Gruppen – um DIE Aufmerksamkeit

& manch EINER dabei auf der Strecke bleibt.              …ALSO…

 

Seht nicht weg -           wenn Zensuren sich ins schlechte wenden

                                    vielleicht möchte ICH Euch nur meine Traurigkeit senden.

 

Seht nicht weg -           wenn ich meine Arme nichtmehr zeige

                                    oder meine Figur zu zeigen vermeide.

 

Seht nicht weg -           wenn ich nur noch am zocken bin

                                    vielleicht macht die Realität für mich keinen Sinn.

 

Seht nicht weg -           wenn ich mich schlage im Schmerz

                                    vielleicht liegt eine Last auf meinem Herz.

 

Seht nicht weg -           denn ich bin noch nicht – ICH –

                                    weiß auch nicht wie es geht …

 

Seht nicht weg -           vielleicht bist – DU –

                                    der Grund > warum mein Herz noch schlägt.